Hände an das Petzl Stop, die Arme eng an den Körper, tief Luft holen und ab durch die Mitte. Die scharfen Schieferkanten zerren am Schlaz und drohen ihn zu zerreißen. Nur mit Mühe lässt sich das Abseilgerät bedienen und doch drückt einen die Schwerkraft durch den schmalen Schacht hinab in die Tiefe.
Sicherlich stand schon der eine oder andere vor diesem Schacht und empfand ihn als zu schmal, zu rau und zu dunkel. Man blickt hinab und fragt sich, was versteckt sich hinter dem sichtbaren Abschnitt? Ein tiefer Schacht, eine weitere Sohle, ein riesiger Abbau oder nur eine verbrochene Strecke? Wir wussten es nicht, aber der Wetterzug schmeichelte uns und verkündete erfrischende Zuversicht.
Natürlich waren wir nicht unvorbereitet vor Ort. Bereits einige Monate zuvor wurden wir auf die riesige Halde aufmerksam, erkundeten das Gelände und Sprachen mit Anwohnern. Sie berichteten uns, dass das alte Mundloch erhalten sei, der Stollen dahinter aber verbrochen ist. Allerdings gäbe es oberhalb weitere Stollen, welche man sich anschauen könne. Von außen war sofort ersichtlich, dass der Hauptförderstollen auf mindestens 20 Meter kollabiert war. Schließlich machten wir uns auf den Weg zu den höher am Berg gelegenen Stollen.
Da wir nicht wussten was uns erwartete, richteten wir eine Seilwache ein, welche den Anschlagpunkt nicht aus den Augen lassen sollte. Der enge Schacht mündete direkt in einem schalen Schrägschacht, welcher wiederum in einem Abbau endete. Von diesem war es nur ein Katzensprung auf die Hauptförderstrecke der Grube. Wir betraten die Förderstrecke und schauten erst einmal nach links und rechts. So als würden wir eine stark befahrende Straße überqueren. Wunderbare Trockenmauerungen zeigten sich im Lichtkegel unserer Lampen. Die dunklen Schiefermauern waren mit weißen Ausblühungen überdeckt. Jene erzeugten einen natürlichen Farbverlauf. Im oberen drittel anthrazitfarbend und nach unten hin immer mehr ins weiß verlaufend. Die dunkle Firste war von weißen Quarzadern durchzogen und mit Sinter bedeckt. Der satte Kontrast wirkte durch das Schattenspiel unserer Lampen noch intensiver.
Eindringendes Wasser floss unaufhaltsam in Richtung Mundloch. Anfangs hatte das Wasser eine bräunliche Farbe, wurde aber immer klarer, desto höher es stand. Je weiter wir Richtung Bergrücken liefen, umso mehr stieg der Pegel. Irgendwann konnten wir eine eingezogene Staumauer erkennen. Links und rechts ragten vermoderte Türstockreste aus dem Wasser. Die Kappen müssen schon vor langer Zeit unter ihrem eigenen Gewicht zusammengebrochen sein und vermoderten nun am Grund. Das Wasser stank erbärmlich und stand bis kurz vor der Kante unserer Wathosen.
In den Trockenmauerungen fanden wir immer wieder kleine zurückgelassene Utensilien wie eine Tabakdose, einen Mini-Verbandskasten, Schlägel, Eisen und weitere Werkzeuge. Scheinbar legten die Bergmänner ihre persönlichen Dinge in den Spalten der Trockenmauerung ab und vergasen diese dort. Vielleicht ließen sie manche Sachen mit Absicht zurück. Kleine blecherne Zeitkapseln für die Nachwelt.
Der Grubenbetrieb musste Anfang der 1950er gestundet werden. Die Nachfrage auf Dachschiefer ging immer weiter zurück. Dieses Schicksal ereilte viele Gruben in der Region. Doch konnte die Gewerkschaft auf eine lange Betriebszeit zurückblicken. Im Wesentlichen fand der Betrieb in zwei Betriebsperioden statt, von insgesamt über 60 Jahren.
Was wäre geblieben, wenn wir nur einen Blick hinab geworfen hätten und den Schacht für zu schmal abgetan hätten? Neugier! Und vielleicht ein paar dumme Sprüche. Geschichte lässt sich nicht bewahren in dem man sie versteckt! Mit Erde überdeckt oder gar für sich behalten möchte! Geschichte will erkundet und für die Nachwelt festgehalten werden. Die Geschichte einer einzelnen Person kann zu unser aller Geschichte werden. Genauso wie die Geschichte anderer zu deiner eigenen werden kann.