Schiefergrube Polygonnetz oder Täuschender Wetterzug

Vom Mundloch der Grube war nur ein Bruchteil der ursprünglichen Größe vorhanden. Vor dem Mundloch floss ein kleiner Bach, welcher in Betonfertigteilen eingefasst wurde. Ohne diese Einfassung gelänge das Wasser vermutlich ungebremst in das Grubengebäude. Bei stärkeren Regenfällen ist davon auszugehen, dass die Betoneinfassung das viele Wasser nicht am Mundloch vorbei leitet. Die Grube wird dadurch in regelmäßigen Abständen geflutet.

Der Einstieg in die Grube ist einzig auf dem Bauch zu bewältigen. Die Sohle erwies sich als extrem glitschig und matschig. Nach ein paar Meter ist es dann wieder möglich, in der Hocke voranzukommen.

Ein Blick in den weiteren Stollenverlauf ließ mich eine Sohle erblicken, die aussah, als wäre sie mit einem polygonalen Plattenbelag ausgelegt. Der Boden zeigte sich so rissig wie ein ausgetrocknetes Bachbett. Mein erster Gedanke war das Wort Polygonnetz. Die Grube hatte ihren fiktiven Namen „Grube Polygonnetz“ gefunden.

Oder etwa nicht?

Denn eine Stunde zuvor fanden wir 50 Meter oberhalb des Mundlochs einige Fundamente, die aus bergbaulichen Epochen stammten. Möglicherweise die Überreste einer Spalthütte oder anderer Grubengebäude. Es war klar, dass in unmittelbarer Nähe ein Mundloch zu finden war. Einige Meter weiter erblickten wir einen tiefen Einschnitt im Gelände. Er führte direkt auf ein zugerutschtes Mundloch. Wir zogen Laub und etwas Erde aus der Stelle am Hang, wo wir das verschüttete Mundloch vermuteten. Es bedurfte nur wenige Handgriffe und ein deutlicher Wetterzug setzte ein.

Jeder Befahrer kennt die Erwartung eines kräftigen Wetterzugs. Je stärker dieser ist, desto hoffnungsvoller fällt die Prognose aus. Es dauerte nicht lange, bis wir Laub und lockeres Erdreich soweit bei Seite geschafft hatten, das es möglich war, in ein kleines Loch zu rutschen.

Vom Wetterzug angetrieben, rutschte einer meiner Mitbefahrer durch den engen Schluf in die Grube. Anfangs hörten wir sein angestrengtes Grummeln. Er kämpfte sich circa 6-7 Meter durch den schmalen Gang. Irgendwann verstummten die Geräusche. Nach einigen Minuten der Ruhe stieg die Hoffnung auf Aussicht einer größeren Dachschiefergrube im Berg. Doch plötzlich hörten wir unten im Wald laut brechendes Geäst. Wir erwarteten Wildschweine oder ähnliche Gäste. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass es unser Mitbefahrer war, der den Hang hochlief. Natürlich machte er extra Krach, um uns zu erschrecken. Oben eingefahren, querte er das gesamte Grubengebäude und kam am unteren Mundloch mit dem eingefassten Bach davor wieder raus. Der enorme Wetterzug hatte uns getäuscht und die Grube war kleiner als Anfangs erwartet. So entstand der zweite Name „Grube täuschender Wetterzug“.

Die Namensfindung ist oft kein großer Denkprozess, sondern orientiert sich an den Eindrücken und Gegebenheiten einer Befahrung.

Doch zurück ins Grubeninnere, den hier sollte sich ein kleiner Augenschmaus auftun. Langsam und vorsichtig bewegten wir uns über das Polygonnetz. Die rissige Optik war zu schön anzusehen. Auf dem Boden gab es keine weiteren Fußabdrücke außer die unseren. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass die Grube immer wieder vom Bach unter Wasser gesetzt wird. In diesen Perioden wird feines Sediment eingespült. Das Material setzt sich ab, zusätzlich nehmen die früheren Schichten Wasser auf. So entsteht erneut eine glatte geschlossene Sedimentdecke.

Durch die nachfolgende Trockenphase trocknet der Sedimentboden abermals aus. Verringert sich der Wasseranteil im Boden, entstehen durch den Volumenverlust Spannungsrisse. Die zu Beginn vereinzelnd auftretenden Risse vereinigen sich zu einem großen polygonalen Netzwerk, wo jede Linie in die nächste greift.

Wir bewegten uns weiter in das Grubeninnere. Nach einigen Metern erschien ein türkisgrünes Gesenk. Aus der anfänglichen Blickrichtung nichts besonders. Doch von der anderen Seite betrachtet, zeigte es seine volle Schönheit.

Sauber gearbeitete Trockenmauerungen wovon eine weit ins klare Wasser reichte. Am Stoß des Gesenks sind Bühnenlöcher zu erkennen. Ein alter Balken liegt über dem Gesenk. Von ihm ist nur das Kernholz übrig. Anscheinend stammt dieser aus der Betriebszeit der Grube. Der Boden rund um das Gesenk ist ebenfalls von Rissen durchzogen.

Im weiteren Grubenverlauf gelangten wir in die Abbaukammer. Der Schieferabbau fand mit der rheinischen Abbaumethode statt, bei der ungenutzter Abraum im Hohlbau verblieb. Das unbrauchbare Gestein wurde hinter Trockenmauerungen in die Höhe getürmt. So entstanden die typischen Versatzmauern, welche mit dem Hohlbau wuchsen.

Im hinteren Teil des Abbaus lag alles wild herum. Einiges an Material ist mit Sicherheit aus der Firste gebrochen. Anderes einfach nur liegen geblieben. Über diesen Abbau gelangt man in die Grube, wenn durch das obere Mundloch eingefahren ist.

Album „Schiefergrube Polygonnetz oder Täuschender Wetterzug“ erstellt am 02.05.2021 von Trümmer Lümmler
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